Reh - (Capreolus capreolus)

(Europäisches Reh)

Scheu, doch allgegenwärtig

Von Uwe Müller, NABU Gruppe Untertaunus

Ricke (Geiß) während des Äsens - Foto: Uwe Müller (NABU Untertaunus)
Ricke (Geiß) während des Äsens - Foto: Uwe Müller (NABU Untertaunus)

Das Reh ist wohl jedem bekannt. Im Wald und auf dem Feld wird es häufig beobachtet, zumindest jedoch gesehen. In der Regel springt es schnell davon, doch manchmal lässt es sich beobachten. Am Morgen oder am Abend am Waldrand oder mitten auf dem Feld bei der Äsung. Manchmal auch im Wald am Wegesrand, am sogenannten Bankett oder wenn es zarte Sprosse knabbert. 

Europäisches Reh (Capreolus capreolus)

Systematik

Ordnung: Paarhufer (Artiodactyla)
Überfamilie: Stirnwaffenträger (Pecora)
Familie: Hirsche (Cervidae)
Unterfamilie: Trughirsche (Capreolinae/Odocoileinae)
Gattung: Rehe (Capreolus)
Art: (Europäisches) Reh (Capreolus capreolus)

 

Es gibt noch das Sibirische Reh (Capreolus pygargus), welche eine eigene Art in der Familie der Hirsche (Cervidae) darstellt.

 

Steckbrief

Männliches Reh: Bock – Jährling im 2. Jahr
Weibliches Reh: Ricke oder Geiß – Schmalreh im 2. Jahr
Jungtier (im ersten Jahr): Kitz – Geißkitz = weiblich und Bockkitz = männlich

 

Körperlänge: 93 bis 140 cm

Schulterhöhe: 54 bis 84 cm

 

Gewicht: 11 bis 34 kg

 

Fellfärbung:
     - Sommer: rotbraun, rotbraun mit weißen Flecken bei Kitzen

          - - Variationen der Fellfärbung: Weiß (Albino), mit mittelgroßen oder großen weißen Flecken (Teilalbino), bis

               in das gelbliche gehend, Schwarz
     - Winter: hell bis dunkel grau
     - Besonders auffällig ist der Spiegel, der große weiße Fleck am Hinterteil

 

Sinne: ausgeprägter Geruchsinn (Makrosmatiker) und Gehörsinn

 

Nahrung: Gräser, Kräuter, Früchte, Nüsse, junges Getreide, Rinde, Pilze, Flechten

 

Fegezeit: Mitte März bis Ende Mai, je nach Region

 

Brunft: Anfang/Mitte Juli bis Anfang September, je nach Region – die letzten Wochen der Brunft werden als Blattzeit  Bezeichnet. Irrtümlicherweise wird hin und wieder die gesamte Brunftzeit als Blattzeit bezeichnet.

 

Keimzeit/Keimruhe: Das befruchtete Ei entwickelt sich erst ab Dezember

 

Setzzeit: Anfang Mai bis Anfang Juni, je nach Region

 

Fressfeinde (Europa):

     - Wolf
      - Luchs
      - Wildkatze
      - Rotfuchs
      - Steinadler

     - Wildschwein
      - Vielfraß
      - Bär

 

Ausführung

Originärer  Lebensraum des Rehes waren die Waldrandzonen und Gebüsche (Mischwälder und buschreiche Strukturen). Mittlerweile findet man Rehe vielen unterschiedlichen Lebensräumen. Meist jedoch im Wald oder auf Agrarflächen.

 

Inzwischen sind Rehe so häufig auf großen Freiflächen bzw. Agrarflächen anzutreffen,  dass zwischen Reh und Feldreh unterschieden wird.

Als Wiederkäuer nimmt das Reh mehrmals am Tag pflanzliche Nahrung auf. Im Sommer bis zu 12 Äsungsphasen und im Winter bis zu 7 Äsungsphasen. Bevorzugte Ässungszeit liegt in der morgendlichen und abendlichen Dämmerung.


Das Reh ist ein Konzentratselektierer (auch Konzentratäser), was bedeutet, dass die Nahrung arm an Pflanzenfasern und Zellulose ist. Dafür aber reich an leicht verdaulichen Nährstoffen wie Zucker, Stärke und Proteinen. Es selektiert sehr genau einzelne Blätter, Knospen, Kräuter usw. Was dem kleine Pansen des Rehs geschuldet ist.

 

Der Verdauungstrakt des Rehs (von Wiederkäuer) besteht aus

     - Pansen

     - Netzmagen

     - Blättermagen

     - Labmagen

     - Darm

          - - Dünndarm

          - - Dickdarm

 

Grob umschrieben funktioniert die Verdauung folgendermaßen:

  1. Nahrungsaufnahme – Die Pflanzennahrung wird über das Maul (Äser bei Hirscharten in der Jagdsprache) aufgenommen
  2. Pansen – Die Nahrung gelangt in den Pansen, wo ein Gärprozess stattfindet - Fermentierung
  3. Netzmagen – In kleinen Mengen wird vom Pansen die Nahrung in den Netzmagen transportiert und wird dort vorverdaut
  4. Wiederkauen – Vom Netzmagen gelangt die vorverdaute Pflanzennahrung wieder in das Maul (Äser) und wird erneut zerkleinert (wieder gekaut)
  5. Blättermagen – Der Brei des wiedergekauten Pflanzenmaterials wird geschluckt und gelangt in den Blättermagen, wo die Flüssigkeit aus dem Pflanzenbrei gepresst wird. Die Bezeichnung Blättermagen entstammt der Psalterblättern des Magenteils. Psalterblättern sind Schleimhautfalten, die wie die Blätter eines Buches wirken und haben kurze, verhornte Ausstülpungen
  6. Labmagen – Vom Blättermagen gelangt die eingedickte Nahrung in den Labmagen (Drüsenmagen). Hier wird die Pflanzennahrung gänzlich durch Drüsensekrete verdaut.
  7. Darm

     - Dünndarm – Im Dünndarm werden die Nährstoffe den entsprechenden Organen zugeführt

     - Dickdarm – Im Dickdarm werden die restlichen Bestandteile eingedickt und in den Mastdarm

                                weiter transportiert. Von dort werden die eingedickten Bestandteile (Kot) ausgeschieden

 

Im Sommer bis in den Herbst bedient es sich eines breiten Nahrungsangebotes:

  • Kräuter
  • Gräser
  • Blüten
  • Samen
  • Heidekraut
  • heranwachsendem Getreide
  • Klee
  • Serradella
  • Luzerne
  • Raps
  • Eicheln
  • Früchte
  • Junge Triebe (Bäume/Sträucher)
  • Knospen (Bäume/Sträucher)
  • Blätter (Bäume/Sträucher)
  • Pilze
  • Beeren
  • Kastanien
  • Bucheckern
  • Eicheln

Im Winter, wo das Nahrungsangebot von Natur aus eingeschränkt ist, sucht es schneefreie Stellen (Aper) und nimmt auch schon mal

  • Himbeerblätter
  • Brombeerblätter
  • Flechten
  • Knospen (Weichhölzer)
  • Triebe (Weichhölzer)
  • Rinde (Weichhölzer)
  • Getreide
  • Kastanien
  • Eicheln

auf. Wenn nötig wird auch der Boden mit dem Vorderlauf aufgegraben. Man sagt auch: Es schlägt den Boden auf.

 

Flüssigkeit wird  weitestgehend über die Pflanzennahrung aufgenommen. Besonders während der morgendlichen Äsung, wenn Tau auf den Pflanzen liegt.

 

Das Reh ist die kleinste Hirschart in Deutschland.

Irrtümlicherweise wird das Reh von manchen als das weibliche Tier des Hirsches betrachtet.

Die stimmt nicht!

– Das Reh ist eine eigene Tierart.

 

Im Herbst/Winter, nach der Brunft, bilden Rehe Gruppen, die „Sprünge“ genannt werden.

 

Luchs, Rotfuchs und Wildschwein sind in unserer Region die häufigsten Fressfeinde, die das Reh zu fürchten hat.

Sollte sich der Wolf eines Tages in der Region etablieren, dann wird ein weiterer Fressfeind aufzulisten sein.

Hinzu kommt auch die Bejagung durch den Menschen.

Dennoch ist die Populationsstärke stabil in unserer Region.

 

Ist das Reh auf der Flucht, erkennt man deutlich den „Spiegel“ am Hinterteil.

Aufgeschreckte Rehe bellen auch. Es ist ein kurzes und trockenes Bellen und dient eher dem Ausdruck von Erregung/Aggression und teilt Artgenossen mit, wo es sich befindet und damit auch, wo sich ein potentieller Fressfeind befindet.

 

Aufgrund des Fluchtverhalten wird das Reh in den Schlüpfertypus (auch Schlüpfer) eingeordnet. Dieser Typus bezeichnet eine Wildart, die aufgrund des Körperbaus (schmaler, kompakter Körper, lange Läufe) und der Gangart (kurze Sprünge), sehr schnell im Dickicht Schutz sucht und sich auch schnell im dichten Geäst fortbewegen

kann.

 

Das Reh bzw. die Ricke weist eine Besonderheit zu anderen Hirscharten auf – Die Keimruhe. Das in der Brunft-/Paarungszeit (Anfang/Mitte Juli bis Anfang September) befruchte Ei ruht bis Dezember und beginnt erst im Dezember an sich zu entwickeln. So das die meisten Kitze erst im Mai/April des Folgejahres geboren werden.

 

Das neugeborene Kitz hat ein mit weiß gepunktetes, rötlichbraunes Fell, welches zu Tarnung dient. Nach ca. 1 Monat beginnt die weiße Fleckenzeichnung undeutlicher zu werden und verschwinden nach und nach vollständig, bis zu 3 Monate.

Nach 10 bis 20 Minuten versuchen Kitze zu stehen, manchmal sogar früher. Es dauert 1 bis 3 Stunden bis ein Kitz die ersten Schritte versucht.

Kitze ruhen auf Liegeplätzen, während die Mutter (Ricke) am äsen ist. Diese Liegeplätze werden in der Regel vom Kitz selbst gesucht, wobei die Ricke auch Hilfestellung gibt.

 

In den ersten Tagen nach der Geburt wird das Kitz nur zum Säugen von der Ricke aufgesucht. Da ein Kitz in der

Zeit nicht in der Lage ist zu flüchten, versucht es sich durch flaches auf den Boden drücken zu schützen. So kann es zu Unfällen während der Mahd kommen. Daher sind die ersten 2 bis 4 Wochen kritisch, dann ist auch das Kitz zur Flucht fähig.

 

Wild lebende Rehe können ein Alter zwischen 10 und 12 Jahren erreichen, es wurden auch schon ältere Rehe registriert. Die durchschnittlich Lebenserwartung bei wild lebenden Rehen ist aber erheblich niedriger.

Gründe für die niedrige durchschnittlich Lebenserwartung sind:

     - Fressfeinde, hauptsächlich im Kitzalter

     - Unfälle

          - - Straßen- und Schienenverkehr

          - - Landwirtschaftliche Tätigkeiten

     - Umweltbedingungen

     - Bejagung

     - Krankheiten

          - - Tollwut

          - - Milzbrand (eher selten)

          - - Tuberkulose

     - Parasiten

          - - Großer und kleiner Leberegel (Saugwürmer)

          - - Bandwurm

          - - Fadenwürmer (auch Nematoden oder Älchen), z.B. Gedrehter Magenwurm

          - - Lungenwürmer

          - - Larven der Rachenbremse

          - - Larven der Dasselfliege

     - Streunende Hunde

 

Der Bock, das männliche Reh trägt ein Geweih. Die Ricke, das weibliche Reh nicht.

Die Lange des Geweihs liegt in der Regel zwischen 15 und 20 cm und kann bis zu 600g schwer werden. Diese Gewicht wird in der Regel von Rehböcken im Alter von 5 Jahren erreicht, wo der Höhepunkt der Entwicklung abgeschlossen ist. Dies steht im Zusammenhang mit dem Mineralhaushalts des Bockes.

 

Im dritten Lebensmonat (mit Bildung von Testosteron) fangen Bockkitze bereits an ein Geweih zu bilden, was als solchen aber nicht zu erkennen ist. Es sind winzige Stirnzapfen (Höcker, Fortsätze, abstehende Haarbüschel), die auf dem Stirnbein unter der Haut (kein Bast) wachsen. Bis Ende September bzw. Anfang Oktober wachsen dies Fortsätze unter der Haut bis auf 30mm heran.

Von Dezember bis Januar wird die Haut abgescheuert, bis die Spitzen des ersten „Geweihs“ frei liegen und auch schon bald abgeworfen wird. Das nachfolgende Geweih besteht aus einfachen, mehr oder weniger geraden Spießen ohne Verzweigungen. Es gibt Ausnahmen, aber diese sind eher selten.

Daher auch der jagdliche Ausdruck „Spießer“. Der Jäger bezeichnet das Geweih eines Rehes als Gehörn

und unterteilt in

  • Spießer
  • Gabler
  • Sechser (Vorderspross, Haupt- und Hinterspross)

Von Oktober bis November wird das Geweih abgeworfen und fängt auch sofort an sich wieder neu zu bilden. Unter einer Basthaut bildet sich das Geweih ungefähr bis Januar neu. Die Basthaut ist ein durchblutete und behaarte Haut, die das Geweih im Wachstum schützt und zusätzlich versorgt.

 

Das Geweih selbst ist in der Wachstumsphase durchblutet und versorgt sich so mit Nährstoffen. Es sitzt auf sogenannte Rosenstöcke, welches zapfenförmige Gebilde sind und später als (Soll)Bruchstellen zum Abwerfen des Geweihs dienen.

 

Im März beginnt die sogenannte Fegezeit, je nach Region und alter beginnen die Rehböcke auch später, daher kann die Fegezeit bis Mai dauern. Das bedeutet, dass die Basthaut ausgetrocknet/abgestorben ist und sich vom Geweih löst.

Der Rehbock scheuert mit dem Geweih an entsprechend dicken Bäumen und Ästen, um die abgestorbene Basthaut zu entfernen. Direkt nach dem Fegen sind weiße, leicht rötliche (durch anhaftenden Blut) Geweihstangen zu sehen.

Das weitere Fegen bestimmt jedoch die Färbung des Geweihs, da beim Fegen Pflanzensäfte in das Geweih eindringen. Fegen an

Erlen- und Nadelhölzer bedeutet ein eher dunkles bis sehr dunkles Geweih.

Feldrehe haben ein eher gräuliches Geweih, da diese Baumarten zum Fegen wenig oder gar nicht zu Verfügung stehen.

 

Gefegt wird aber nicht nur um die Basthaut loszuwerden. Im Sommer bis Ende der Brunft fegen Rehböcke um das Territorium zu markieren. Hierbei werden an kleinen/jungen Bäumen und an Sträuchern bzw. an den gefegten Stellen mit Kopf und Wangen Duftstoffe aus den im Sommer aktiven Hautdrüsen verbracht.

Auch über Klauendrüsen (Drüsen oberhalb der Hufe) wird das Territorium abgesteckt. Hierbei wird der Boden mit dem Vorderlauf aufgeschlagen und das Drüsensekret so in die Mulde verbracht. Auch „Plätzen“ genannt.

Bildergalerie - Rehe

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